Forschungsprojekt zu Sanierungskonzepten für 1950er-Jahre Siedlungs-Wohnbauten
Im Rahmen einer Abschlussveranstaltung am 16. Februar 2016 in den Räumen der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft Speyer präsentierten Juniorprof. Dr.-Ing. Angèle Tersluisen (Hauskybernetik), Prof. Dr. Annette Spellerberg (Stadtsoziologie), Prof. Dr.-Ing. Matthias Pahn (Massivbau und Baukonstruktion) und Prof. Dr. Björn-Martin Kurzrock (Immobilienökonomie) von der TU Kaiserslautern die Forschungsergebnisse aus dem Projekt „Untersuchung zur Effizienz kybernetischer Sanierungskonzepte für 1950er-Jahre Siedlungs-Wohnbauten – am Beispiel der Siedlung „Am Germansberg“ der Gemeinnützigen Baugenossenschaft Speyer e.G.“. Eine Besonderheit des Projektes ist die enge Zusammenarbeit von Soziologen, Ökonomen und Ingenieuren (Ökologie) zur Entwicklung nachhaltiger Konzepte.
Ziel des Forschungsprojektes war die Entwicklung und Bewertung von Sanierungskonzeptionen für 1950er-Jahre-Siedlungsgebäude, die es ermöglichen, solare Gewinne über die Gebäudehülle zu generieren und zu nutzen. Verglichen wurden die energiegewinnenden Konzepte mit der Energiebilanz des unsanierten Bestands sowie mit einer konventionellen Sanierung der Gebäudehülle gemäß Energieeinsparverordnung.
Fünf Konzeptgruppen mit insgesamt elf Konzeptvarianten wurden untersucht und bewertet, die Konzepte reichen von Low-Tech-Sanierungen (Luftkollektor-Gebäudehülle) bis High-Tech-Sanierungen (Photovoltaik-Gebäudehülle).
Drei verschiedene Gebäudehüll-Typen wurden betrachtet:
– Luftkollektoren (low tech),
– Massivabsorber,
– Photovoltaik-Paneele (high tech).
Luftkollektoren bestehen aus der Bestands-Außenwand, einem Luftspalt und einer durchsichtigen Deckschicht aus Glas, Polycarbonat oder Plexiglas. Die Luft im Luftspalt erwärmt sich bereits bei geringer solarer Einstrahlung (Glashauseffekt), an sonnenreichen Wintertagen konnten in bereits abgeschlossenen Forschungsarbeiten bei Außentemperaturen von -10°C Luftspalttemperaturen von bis zu 55°C gemessen werden.
Massivabsorber bestehen aus fluid-durchströmten Kapillarrohrmatten, die in massiven Schichten, hier in Hochleistungsbeton, eingebettet sind. Das Fluid erwärmt sich in Folge solarer Einstrahlung auf die massive Schicht. Zwischen der massiven Absorberschicht und der Bestandswand wird eine Wärmedämmschicht angeordnet, um die Wärmeverluste zu reduzieren und eine ungewünschte Wärmeabgabe der Absorber-Energie an die Wohnräume zu vermindern. Die Energie des Fluids wird an die Haustechnik übergeben und dem Heizsystem zugeführt.
Auszug aus den Forschungsergebnissen
1) Mieterbefragung und Analyse
1. Auffallend ist die heterogene Altersstruktur der Befragten mit einer Spanne von 22 bis 83 Jahren. Das mittlere Alter beträgt 56 Jahre, was auf baualtersgleiche, unsanierte Siedlungen übertragbar sein dürfte.
2. Die Wohnungen wurden in den 1960er-Jahren vom Architekten als 3- bis 4-Personen-Haushalte konzipiert. Heute sind jedoch Ein-Personen-Haushalte am häufigsten vertreten. Über die Hälfte (14 Befragte) wohnt in einem Ein-Personen-Haushalt, sieben Befragte in einem Zwei-Personen-Haushalt und nur vier Befragte in einem Drei-Personen-Haushalt.
3. Insgesamt sind 18 von 23 Befragten zufrieden mit dem Aussehen des Wohnhauses, was einem Ruf zum Erhalt des baukulturellen Erbes gleichzusetzen ist. Im Rahmen der Konzeptentwicklung wurde daher darauf geachtet, die architektonischen Merkmale der 1960er-Jahre wie Dachüberstände und Klappläden zu erhalten.
4. Mit 12 von 22 Befragten gab knapp die Hälfte an, mit der Wohnungsgröße zufrieden zu sein, wobei anzumerken ist, dass über die Hälfte der Befragten als Einzelperson in einer 3– bis 4-Zimmer-Wohnung wohnt. 13 von 23 Befragten gaben an, unzufrieden mit der Raumaufteilung der Wohnung zu sein. Lediglich drei Befragte sind mit der Raumaufteilung zufrieden, sieben Befragte sind teilweise zufrieden. Dieses Befragungsergebnis floss direkt in die Konzeptentwicklung zur Erweiterung und Neustrukturierung der Wohngrundrisse ein.
2) Konzeptentwicklung zur energiegewinnenden Gebäudehülle: energetische und ökonomische Bewertung
5. Die einfachste solarenergiegewinnende Gebäudehülle, ein Luftkollektor, reduziert ohne Einsatz von zusätzlicher Gebäudetechnik den Heizwärmebedarf im Vergleich zum EnEV-Standard bereits um 22 %, im Vergleich zum unsanierten Bestand um etwa die Hälfte. Die Nutzung der solaren Gewinne gleichen die Verluste aus und verbessern die Energiebilanz entscheidend.
6. Sanierungs-Erstkosten und Lebenszykluskosten des EnEV-Standards und des einfachsten low-tech-Luftkollektor-Konzeptes sind vergleichbar, der EnEV-Standard wird in der Kalkulation als unwesentlich teurer bilanziert als der einfache Luftkollektor.
7. Mit rein passiven Strategien, also ohne zusätzliche Gebäudetechnik, kann der Heizwärmebedarf des EnEV-Standards um 39 % unterschritten werden (Konzept Luftkollektor mit Kastenfenster, Heizwärmebedarf 45,5 W/(m2*K)). Das Konzept mit Kastenfenstern ist jedoch nutzerabhängig: nur wenn die Fenster richtig bedient werden, kann der bilanzierte Heizwärmebedarf erreicht werden.
8. Konzepte, in denen passiv der Heizwärmebedarf gesenkt wird (Luftkollektor), der wiederum durch aktive Komponenten gedeckt wird (Wärmepumpe), erzielen die besten Ergebnisse (vgl. Konzept Luftkollektor-Wärmepumpe: niedrigster Endenergiebedarf, niedrigster Primärenergiebedarf aller Konzepte).
9. Je mehr Gebäudetechnik ein Konzept benötigt, desto höher sind die Lebenszykluskosten und desto höher ist die Amortisationszeit.
10. Konzepte, die eine Wärmepumpe beinhalten, amortisieren sich aktuell nicht, sind demnach für den nicht-hochpreisigen Wohnungsbau nicht geeignet.
11. Konzepte mit Wärmepumpe weisen den geringsten Endenergiebedarf auf, die Energiekosten hingegen sind mit denen der anderen Konzepte vergleichbar.
12. Einer der niedrigsten zu erzielende Endenergiebedarfe beträgt in einem Konzept mit Massivabsorber und Photovoltaik 19,2 kWh/(m2*a). Dieses Konzept weist gleichzeitig die höchsten Lebenszykluskosten auf und amortisiert sich nicht, stellt sich als demnach heute noch als unwirtschaftlich dar.
13. Mechanische Lüftungsanlagen weisen hohe Lebenszykluskosten auf.
Förderung
Das Land Rheinland-Pfalz förderte das Forschungsprojekt durch das Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung sowie das Ministerium der Finanzen im Rahmen des Landesförderprogramms „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt)“. Das Forschungsprojekt ist der erste Teil eines zweistufigen Projekts. Im anschließenden zweiten Projektteil folgen die Realisierung einer der entwickelten Konzeptionen sowie die soziologische, ökologische und ökonomische Monitoringphase.