Zum Anspruch auf Nacherfüllung
Die Unverhältnismäßigkeitseinrede im WerkvertragsrechtIst ein Werkvertrag mangelhaft erbracht, hat der Besteller regelmäßig einen Anspruch auf Nacherfüllung. Ist die Nacherfüllung jedoch unverhältnismäßig, darf der Werkunternehmer die Leistung verweigern. Die Frage, wann eine solche Unverhältnismäßigkeit vorliegt, ist immer wieder Gegenstand von Gerichtsverfahren.
Problemdarstellung
Schließen Werkunternehmer und Besteller einen Werkvertrag, verpflichtet sich der Werkunternehmer regelmäßig zur Bewirkung eines Werkerfolges, wobei es grundsätzlich auf die Art und Weise, wie dieser Erfolg erreicht wird, nicht ankommt; bezeichnet wird dies als funktionaler Herstellungsbegriff. Ist die Werkleistung also mangelhaft, hat der Besteller konsequenterweise einen Anspruch auf Erbringung des geschuldeten Werkerfolgs. Der Unternehmer kann die Nacherfüllung jedoch verweigern, wenn diese objektiv, subjektiv oder wirtschaftlich unmöglich ist. Allerdings ist eine Unmöglichkeit nur in seltenen Fällen gegeben, weshalb das Gesetz dem Werkunternehmer mit § 635 Abs. 3 BGB eine zusätzliche Einrede gewährt. Nach dieser Vorschrift kann der Werkunternehmer die Nacherfüllung auch dann verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Doch auch diese Einrede hat nur Ausnahmecharakter wie der nachstehende Fall zeigt:
Sachverhalt
Die Klägerin erwarb im Jahr 2011 von der Beklagten in einem von der Beklagten noch zu errichtenden Objekt eine Eigentumswohnung zum Preis von 330.000,00 €. In der im notariellen Vertrag enthaltenen Baubeschreibung heißt es u.a.:
„Fenster und Rollläden: Kunststoff-Fenster mit 3-fach-Wärmeschutz-Verglasung U-Glas = 0,9.“
Nach Fertigstellung und Abnahme der Bauleistungen beanstandete die Klägerin u.a. den Einbau einer lediglich 2-fachen Wärmeschutz-Verglasung und forderte die Beklagte zur Mangelbeseitigung auf. Die Beklagte bestätigte den Mangel, wendete gegen den klägerischen Nacherfüllungsanspruch jedoch ein, dass dieser mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sei. So stünde einer Heizkostenersparnis von 8,10 € pro Jahr ein Nacherfüllungsaufwand von 6.700,00 € gegenüber. Aus diesem Grunde habe die Klägerin kein redliches Interesse an der Nacherfüllung, zumal die eingebaute 2-fach-Verglasung auch nicht zu einer Verminderung des Verkehrswertes führe.
Daraufhin hat die Klägerin im Jahr 2015 vor dem Landgericht Klage erhoben. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, die Beklagte wiederum hat gegen diese Entscheidung beim OLG Karlsruhe Berufung eingelegt.
Entscheidung
Das OLG Karlsruhe hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Es hat insbesondere festgestellt, dass die Voraussetzungen der Unverhältnismäßigkeitseinrede im Sinne von § 635 Abs. 3 BGB nicht vorliegen. Denn hinsichtlich der Unverhältnismäßigkeit komme es nicht allein auf das rechnerische Verhältnis zwischen den Mangelbeseitigungskosten und dem wirtschaftlichen Vorteil für den Auftraggeber an. Vielmehr seien sämtliche Umstände des Einzelfalls gegeneinander abzuwägen. Es sei etwa zu berücksichtigen, ob der Auftraggeber ein nachvollziehbares Interesse an der vertragsgemäßen Ausführung des Werkes hat und ob den Werkunternehmer ein Verschulden an der Entstehung des Mangels trifft.
Nach dieser Maßgabe lägen die Voraussetzungen der Unverhältnismäßigkeitseinrede aus § 635 Abs. 3 BGB nicht vor. Denn der Einbau von Wärmeschutzfenstern habe nicht ausschließlich der Senkung von Heizkosten gedient, vielmehr spiele die Einhaltung bestimmter Wärmeschutzstandards bei Neubauten generell für die Wertvorstellung von Erwerbern eine Rolle. Insofern könne auch dahinstehen, ob der Einbau eines lediglich 2-fachen Wärmeschutzes Auswirkungen auf den Verkehrswert des Objekts habe. Allerdings sei zumindest davon auszugehen, dass ein fachkundiger Kaufinteressent sich gerade auch für die Fenster interessiere, die Einhaltung bestimmter Wärmeschutzstandards vom Verkäufer erfrage und diese damit zum Vertragsgegenstand eines Weiterverkaufs werden könnten. Schließlich sei auch das Verschulden der Beklagten an der Entstehung des Mangels zu berücksichtigen, weil sie die Baubeschreibung naturgemäß gekannt habe. Vor diesem Hintergrund könne sie sich nicht auf eine Unverhältnismäßigkeit berufen.
Die Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 1. Februar 2018 (9 U 52/17) ist rechtlich zutreffend. Die Auslegung des § 635 Abs. 3 BGB hat mit Rücksicht auf die gegenseitigen Vertragspflichten äußerst restriktiv zu erfolgen, so dass im Regelfall lediglich optische Beeinträchtigungen erfasst werden und sonstige Mängel die Ausnahme darstellen.
Praxistipp
Auch wenn ein Leistungsverweigerungsrecht des Werkunternehmers nicht besteht, sollte jedoch stets geprüft werden, ob der Nacherfüllungsaufwand auch Sowieso-Kosten beinhaltet, die gegenüber dem Besteller möglicherweise zusätzlich abgerechnet werden dürfen. Im Rahmen eines Einheitspreisvertrages kann dies etwa dann gegeben sein, wenn Leistungen erforderlich werden, die ursprünglich weder ausgeführt noch abgerechnet wurden.
Schlünder Rechtsanwälte Partnerschaft mbB
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