KNX im Geschosswohnungsbau

Neues Aufgabenfeld für Elektroplaner

Gerade erst hat KNX seinen 30. Geburtstag gefeiert. Und die Erfolgsgeschichte geht weiter, wozu auch neue Einsatzgebiete gehören – bspw. im hochwertigen Geschosswohnungsbau. Der eröffnet dem Elektroplaner nicht nur einen lukrativen Markt, sondern verlangt von ihm auch ein Umdenken bei der Planung von KNX.

Der Grundgedanke von KNX, der als „Instabus“ ursprünglich für den Gewerbe- und Industriebau entwickelt wurde, basiert darauf, Gebäude als eine Einheit zu betrachten, mit einem einzigen Datensatz. Im Geschosswohnungsbau ist eine solch zentralistische Struktur ausgeschlossen, weil jeder Wohnungseigentümer das Recht auf einen eigenen Datensatz hat, auf den niemand von außen – etwa ein Hausmeister – zugreifen darf.

Die planerische Herausforderung besteht darin, hierfür ein „doppeltes“ System zu schaffen. Auf der einen Seite beinhaltet es zentrale Funktionen wie Sonnenschutz oder Windalarm, die in allen Wohneinheiten laufen müssen. Man könnte es als Gebäudeprojekt bezeichnen. Auf der anderen Seite steuert das System sämtliche Aktionen, die individuell auf jede einzelne Wohnung abgestimmt sind. Hier ließe sich von Wohnungsprojekten sprechen. Um zu einer optimalen Lösung zu kommen, muss der Aufbau eines solch komplexen Systems möglichst frühzeitig geplant werden. Das Gleiche gilt für die Verwaltung der Datensätze.

Zentrales Gebäudeprojekt mit individuellen Wohnungslösungen

Im Gebäudeprojekt müssen die Linienkoppler eingerichtet und die Filtertabellen verwaltet werden. Deren Montage muss in einem eigenen, geschützten Bereich erfolgen, in den allein zugangsberechtigte Personen gelangen dürfen. Die Linienkoppler übermitteln dort die KNX-Telegramme für Zentralfunktionen und speisen sie in die einzelnen Wohnungen ein. Hinzu kommen die autarken, individuellen Wohnungsprojekte, die Beleuchtung, Heizung etc. steuern. Aufgabe des Planers ist es, die zu übertragenden Datenpunkte genau zu definieren. Ebenso müssen diese Adressbereiche in den Wohnungsprojekten reserviert werden, um Fehlfunktionen zu vermeiden. Wenn der Linienkoppler mechanisch geschützt und zudem vom Gebäudeprojekt verwaltet wird, ist sichergestellt, dass Unbefugte aus den einzelnen Wohnungen heraus weder auf die zentralen Daten noch auf Daten anderer Wohneinheiten zugreifen können. Diese Sicherheit herzustellen ist die Hauptaufgabe des Elektroplaners und zugleich die eigentliche Herausforderung, schon weil sie in der bisherigen KNX-Struktur nicht nötig ist und deshalb auch nicht vorgesehen war.

Jede Wohnung kann unter Berücksichtigung des Adressbereichs der Zentralfunktionen individuell geplant und programmiert werden. Grundvoraussetzung ist die durchgehende Ausstattung mit KNX, wobei sich der Leistungsumfang später ohne bauliche Maßnahmen erweitern lässt. Je nach Wunsch und Anforderung kann hierbei der Gira-„HomeServer“ oder der Server „Gira X1“ zum Einsatz kommen.

Standardisierte Funktionspakete für Lösungen

Für den Erbauer des Gebäudes – Wohnungsbaugesellschaften oder Bauträger – ist es von Vorteil, wenn er standardisierte Funktionspakete für Lösungen anbietet anstelle einzelner Produkte. Etwa einen „Welcome/Bye-Bye“-Taster an der Wohnungstür, Lichtszenensteuerung, Anwesenheitssimulation und/oder Zeitschaltuhren für die Solltemperatur in Wohnräumen – sie alle lassen sich über KNX realisieren.

Angesichts des nach wie vor schillernden Begriffs „Smart Home“ ist es im Geschosswohnungsbau extrem wichtig, dass der Erbauer des Gebäudes allein für die Hausautomation zuständig ist und dem Interessenten oder Käufer mit KNX ein herstellerneutrales und zukunftssicheres System garantiert. Erst nach der Abnahme der digitalen Grundfunktionen kommt die Consumer-Elektronik ins Spiel, also bspw. das Handy zur Funktionssteuerung oder „Alexa“ zur Sprachsteuerung. Sie können dann in das KNX-System mit eingebunden werden. Das wiederum liegt in der Verantwortung des Wohnungseigentümers, nicht des Bauträgers.

Begriffsklärung und Erläuterungen

Unabdingbare Voraussetzung für die Baubeschreibung und beim Beratungsgespräch ist es deshalb, den Begriff „Smart Home“ zu definieren und dem Kunden zu erläutern, was er mit KNX bekommt – die digitalen Grundfunktionen – und was nicht. Alles andere würde die Gewährleistungspflicht für den Bauträger zu einem nicht mehr kalkulierbaren Risiko werden lassen. Hier ist die Beratungskompetenz des Elektroplaners gefragt!

Hier liegt ein weiterer bedeutender Unterschied zur Planung und Realisierung von KNX im Privatbau. Während dort die Übergabe ein eher fließender Prozess ist, muss im Geschosswohnungsbau die bauliche Abnahme zeitlich und inhaltlich genau definiert sein.

Für den planenden und installierenden Elektriker eröffnen sich im Grund drei Betätigungsfelder: das zentrale Gebäudeprojekt, außerdem die digitalen Grundfunktionen der einzelnen Wohnprojekte – beides beauftragt durch den Bauträger – sowie die individuelle Ausstattung einer jeden Wohneinheit durch die Anbindung der Consumer-Elektronik, beauftragt von den jeweiligen Eigentümern. Bei einem Projekt mit 40 Wohnungen wären das im Idealfall 81 Aufträge! Schon von daher ist der Geschosswohnungsbau für den Planer und ausführenden Installationsbetrieb nicht nur interessant, sondern auch lukrativ.

Kurzinterview

Vier Fragen an Dirk Beyer

tab: Herr Beyer, wie groß ist der Bedarf bei dem bestehenden breiten Angebot an „Smart Building“-Lösungen nach Beratung und Planungsunterstützung für KNX-Systeme?

Dirk Beyer: Der Bedarf ist hoch, sobald anspruchsvolle Systemlösungen realisiert werden sollen, die den Wohnkomfort steigern, mehr Sicherheit garantieren und mit denen sich energieeffiziente Maßnahmen realisieren lassen. Das gilt für den hochwertigen Privatbau und jetzt zunehmend auch für den gehobenen Geschosswohnungsbau.

tab: Wann ist im Rahmen der Planung der späteste Zeitpunkt, um sich für eine Hausautomation entscheiden?

Dirk Beyer: Grundsätzlich sollte die Entscheidung so früh wie möglich getroffen werden, nur dann ist eine integrale Planung gewährleistet. Zumal kabelgebundene Systeme sich grundlegend gegenüber konventioneller Installation in der Leitungsführung unterscheiden. Ist die Planung abgeschlossen, können Änderungen nur unter hohem Aufwand noch einfließen, was letztlich auch die Planungskosten beeinflusst. In der Bauphase nachträglich noch „Smart Home“-Lösungen einzubringen, muss letztlich Stückwerk bleiben.

tab: Inwieweit ist eine Hausautomation mit KNX im Rahmen einer Sanierung oder Revitalisierung auch nachrüstbar?

Dirk Beyer: Das hängt vom Grad der Sanierung ab. Werden nur Fenster neu gestrichen oder Tapeten geklebt, ist eine Funklösung sicherlich die bessere Wahl. Werden dagegen Wände versetzt und die Elektroinstallation ohnehin komplett erneuert, lässt sich ein KNX-System ohne weiteres wie in einem Neubau installieren. Verhindern bauliche Maßnahmen an einigen Stellen das Verlegen von Kabeln, kann KNX über RF, also Radio Frequency, quasi „verlängert“ werden.

tab: Den Sicherheitsaspekt einer Hausautomation haben Sie bereits in ihrem Beitrag als Herausforderung genannt. Wie wird das Sicherheitsbedürfnis nach Datenschutz mit KNX sichergestellt? Wie sieht so ein „doppeltes System“ aus?

Dirk Beyer: Zu den von mir beschriebenen Lösungen im Geschosswohnungsbau kommen einige generelle Aspekte hinzu, die der Planer kennen sollte. Dazu gehört den Kunden generell über das Thema Datenschutz zu informieren und sich dessen Privatsphäre vertraglich schützen zu lassen. Außerdem sollten Netzwerk in VLAN-Segmenten gruppiert sein, sichere Passwörter verwendet und vor allem regelmäßig Updates ausgeführt werden.

Info

Die Gira Giersiepen GmbH & Co. KG

Das Unternehmen ( www.gira.de) mit Sitz in Radevormwald zählt zu den Komplettanbietern smarter Systemlösungen für die elektrotechnische und vernetzte digitale Gebäudesteuerung. Mit seinen zahlreichen Entwicklungen prägt und beeinflusst das Familienunternehmen seit seiner Gründung im Sommer 1905 die Welt der Elektroinstallation und Gebäudesteuerung. Der zukunftsträchtigen Entwicklung zu vernetzten „Smart Building“-Systemen und zur Digitalisierung von Gebäuden hat Gira als „Smart Home“-Pionier mit dem „Gira HomeServer“ maßgebliche Impulse gegeben.

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