Das aktuelle Baurechtsurteil
Werkmangel trotz funktionsfähigem Werk?Kann ein Werk mangelhaft sein, das seine nach dem Vertrag vorausgesetzte Funktion erfüllt? Ja, jedenfalls im Rechtssinne, wie der folgende Fall zeigt und vom Oberlandesgericht Schleswig, Urteil vom 04.10.2023 - 12 U 25/21, entschieden wurde.
Sachverhalt
Die Betreiberin eines Krankenhauses beauftragte für die Klinikerweiterung eine Generalplanerin mit Planungs- und Bauüberwachungsleistungen sowie einen Unternehmer mit der Ausführung von Flachdach- und Abdichtungsarbeiten. Im Zuge dieser Arbeiten montierte der Ausführende die zur Abdichtung erforderlichen Schweißbahnen nach dem Abwickeln von der Rolle, ohne sie zuvor auszulegen und zu strecken. Wie ein Sachverständiger später feststellen sollte, führte dies dazu, dass einzelne Abdichtungsbahnen um bis zu 22 mm zu kurz ausfielen und damit die in der DIN 18531-3: 2005-11 vorgeschriebene Überlappung von 80 mm knapp nicht erreicht wurde, was für die Bauleitung der Generalsplanerin erkennbar war. Diese Unregelmäßigkeiten blieben jedoch, bis auf eine geringe Dämmwertreduktion technisch folgenlos, insbesondere trat keine Feuchtigkeit in das Gebäude ein, auch waren künftige Feuchtigkeitseintritte nicht zu erwarten.
Nachdem sich die Klinikbetreiberin dieser Umstände bewusst wurde, nahm sie die Generalplanerin gerichtlich auf Kostenvorschuss/Vorfinanzierung über 100.928,71 Euro für die Sanierung der betroffenen Dachfläche (Demontage und Neuherstellung) in Anspruch. Die Generalplanerin wendete ein, dass schon aufgrund der Dichtigkeit des Flachdachs und der damit gewährleisteten Primärfunktion keine Ansprüche bestünden und sich die Klinikbetreiberin in jedem Fall Vorteilsabzüge „neu für alt“ gefallen lassen müsse, nachdem sie das Flachdach schon seit über acht Jahren – zum Zeitpunkt der Beendigung des Rechtsstreits sogar seit mehr als 13 Jahren – erfolgreich genutzt habe.
Das erstinstanzlich zuständige Landgericht hat die Beklagte zwar auf Schadensersatz verurteilt, hat die Klage letztlich jedoch im Hinblick auf die zu verrechnenden Vorteilsabzüge „neu für alt“ überwiegend abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt.
Entscheidung
Mit Urteil vom 04. Oktober 2023 hat das OLG Schleswig die Berufung der Generalplanerin als unbegründet zurückgewiesen und hat auf die Berufung der Klinikbetreiberin die Generalplanerin sogar umfänglich verurteilt.
Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass hinsichtlich der Mangelhaftigkeit der Werkleistungen ausschließlich auf den vorliegenden Verstoß gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik abzustellen sei, die der Unternehmer als vertragliche Mindestanforderung selbst ohne ausdrückliche Vereinbarung immer schulde. Unerheblich sei hingegen, ob aus dieser vertragswidrigen Ausführung bereits Folgeschäden (z. B. Feuchtigkeitsschäden) entstanden seien oder künftig entstehen werden. Vielmehr sei für die Annahme eines Baumangels bereits die Ungewissheit über etwaige Risiken für den künftigen Gebrauch des Werkes ausreichend, was durch den Fachregelverstoß indiziert werde. Weil es sich hier um solche Mängel handele, die von der Bauüberwachung hätten erkannt und verhindert werden können, sei die Haftung der Generalsplanerin begründet.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts müsse sich die Klinikbetreiberin aber selbst in Ansehung der Nutzung des Flachdachs über mehrere Jahre keinen Vorteilsabzug „neu für alt“ entgegenhalten lassen. Zwar habe der Besteller grundsätzlich Wertverbesserungen auszugleichen, die aus einer Mangelbeseitigung etwa in Gestalt einer längeren Haltbarkeit oder der Einsparung von Wartungsarbeiten resultieren. Allerdings sei unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falls ein solcher Abzug nicht gerechtfertigt, nachdem die Generalplanerin bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von Pfützenbildungen auf dem Flachdach erlangt, trotzdem keine Ursachenaufklärung veranlasst und deshalb nach Auffassung des Berufungsgerichts eine zeitnahe Mangelbeseitigung verhindert habe.
Anmerkung zur Entscheidung
Rechtsanwalt Jochen Zilius, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht.
Bild: medlay, Jörg Kersten
Der erste Teil der Urteilsbegründung bezüglich der Voraussetzungen eines Werkmangels ist ohne Weiteres zutreffend. In der juristischen Praxis kommt es diesbezüglich immer wieder zu Missverständnissen darüber, dass eine ordnungsgemäße Werkleistung nur dann vorliegt, wenn sie gleichzeitig
den vertraglichen Vereinbarungen entspricht,
den allgemeinen anerkannten Regeln der Technik entspricht und
sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet, sprich funktioniert.
Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt ein (gesetzlicher, nicht unbedingt technischer) Werkmangel vor.
Der zweite Teil des Urteils scheint bezüglich des Vorteilsausgleichs durchaus streitbar zu sein, weil zumindest die aus dem Urteil ersichtliche Hauptbegründung einer frühzeitigen Kenntnis der Generalplanerin von einer Pfützenbildung auf dem Dach für die Ablehnung des gesamten Vorteilsausgleichs für eine Nutzung über 13 Jahre recht dünn erscheint. Welches Ergebnis hier richtig bzw. gesetzeskonform ist, werden wir aber nie erfahren, nachdem der Senat die Revision beim Bundesgerichtshof nicht zugelassen hat.
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