Aktuelle Rechtsprechung
Bleibt ein guter Preis vor Gericht ein guter Preis?Gilt vor Gericht die Formel: „Guter Preis bleibt guter Preis, schlechter Preis bleibt schlechter Preis?“ Dieser Fragestellung geht der folgende Rechtsbeitrag nach und befasst sich dazu mit einem aktuellen Fall.
Problemdarstellung
Die Voraussetzungen, unter denen ein Werkunternehmer eine Mehrvergütung für erbrachte Zusatzleistungen verlangen kann, finden sich in § 2 Abs. 5, Abs. 6 VOB/B und mittlerweile auch im neuen Bauvertragsrecht des BGB. Können sich die Vertragsparteien aber nicht auf die Höhe einer Nachtragsvergütung einigen, gibt es ein Problem, denn die Berechnung der Mehrvergütung ist in der VOB/B nicht geregelt.
Wie hier verfahren wird, ist unter Baurechtlern umstritten, die Rechtsprechung folgt einer Preisfortschreibung nach der sog. Korbion’schen Formel. Diese Formel fußt auf dem Gedanken, dass eine Mehrvergütung aus den Preisen der Urkalkulation zu berechnen ist. Daraus folgt, dass der Werkunternehmer an einen einmal für eine Leistungsposition berechneten Preis auch bei der Abrechnung von Nachträgen gebunden ist. Dies wiederum führte in der Vergangenheit teilweise zu absurden Ergebnissen, wenn beispielsweise der Werkunternehmer eine bestimmte Position absichtlich nicht auskömmlich kalkulierte, um den Auftrag zu erhalten und der Auftraggeber dann in der Bauphase weitere Gewerke im Wege eines Nachtrags unter Zugrundelegung genau dieser Position bestellte. Folge: Der Werkunternehmer fährt Verluste ein, die insgesamt natürlich nicht kalkuliert waren.
Mit dieser Problematik hatte sich jüngst auch das Kammergericht Berlin (Urteil vom 10. Juli 2018 – 21 U 30/17) im Rahmen des folgenden Sachverhalts zu befassen.
Sachverhalt
Der Kläger hat einen restierenden Werklohn in Höhe von ca. 40.000 € für erbrachte Nachtragsleistungen (Sonderwünsche) eingeklagt. Die Beklagten haben dagegen u.a. eingewendet, dass sich eine Mehrvergütung ausschließlich anhand der klägerischen Urkalkulation berechne und die Klage daher allenfalls teilweise begründet sei.
Mit diesem Vortrag sind die Beklagten in erster Instanz durchgedrungen. Auf die Berufung des Klägers hat das Kammergericht das erstinstanzliche Urteil teilweise aufgehoben. Es hat der Berechnung des Mehrvergütungsanspruchs nach der vorstehend erläuterten Korbion’schen Formel eine Absage erteilt. Diese nicht leicht verständliche Entscheidung des Kammergerichts beruht auf folgenden Erwägungen:
1. Die Grundlage eines Mehrvergütungsanspruchs im Sinne der VOB/B sind die dem Werkunternehmer entstandenen Mehrkosten, welche der Differenz zwischen Neukosten und Altkosten entsprechen.
2. Zur Ermittlung der Neu- und Altkosten kommt es ausschließlich auf die tatsächlich entstandenen Kosten – also auf die Selbstkosten ohne Zuschläge – an. Die Urkalkulation des Unternehmers kann allenfalls als Hilfsmittel herangezogen werden.
3. Übersteigt nun, bezogen auf das Ursprungs-Leistungsverzeichnis, die dem Werkunternehmer zugesagte Vergütung (Rechnungsbetrag) die tatsächlichen Kosten (Selbstkosten), sodass er einen Zuschlag für allgemeine Geschäftskosten und Gewinn erwirtschaftet, so ist genau dieser Zuschlagsfaktor auch im Rahmen der änderungsbedingten Mehrkosten aufzuschlagen.
Beispiel:
Vergütung (ohne Nachtrag) = 100
Altkosten (Selbstkosten ohne Nachtrag) = 80
Zuschlagsfaktor = 100/80 = 1,25
Neukosten (Selbstkosten inkl. Nachtrag) = 120
Mehrvergütung für Nachtrag = (120 – 80) x 1,25 = 50
4. Für die Ermittlung des Zuschlagsfaktors kommt es nicht auf den vom Werkunternehmer kalkulierten Wert, sondern auf den angesichts der tatsächlichen Kosten des Bauvorhabens und der Vergütungshöhe objektiv zutreffenden Faktor an. Zu betrachten ist hierbei nicht lediglich eine einzelne Teilposition, sondern das gesamte Ursprungs-Leistungsverzeichnis.
5. Sollte sich ergeben, dass die tatsächlichen Kosten höher sind als die vertragliche Vergütung, sollte, mit anderen Worten, der Werkunternehmer an dem Geschäft Verlust machen, hat er trotzdem einen Anspruch auf Zahlung der durch Nachträge bedingten Mehrkosten zuzüglich eines angemessenen Zuschlags zur Deckung der allgemeinen Geschäftskosten und des Gewinns. Dieser fiktive Zuschlagsfaktor beträgt in Anlehnung an die §§ 649 Satz 3, 648a Abs. 5 Satz 3 BGB mindestens 100/95 = 1,0526.
Prognose
Die vorstehend zitierte Entscheidung ist begrüßenswert, weil sie sowohl den verschiedenen Interessenlagen der Parteien eines Bauvertrags als auch dem Sinn und Zweck von § 2 Abs. 5, Abs. 6 VOB/B entspricht. Denn insbesondere erscheint es nicht nachvollziehbar, warum eine einmal abgegebene Willenserklärung für den ursprünglichen Auftrag auch für spätere, durch den Auftraggeber einseitig angeordnete Nachträge (vgl. § 1 Abs. 3, Abs. 4 VOB/B) bindend sein soll, wenn dies bei Abschluss des Hauptvertrags überhaupt nicht beabsichtigt war.
Ob das Urteil des Kammergerichts jedoch Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Denn einerseits steht es möglicherweise im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH VII ZR 142/12); aus diesem Grunde hat das Kammergericht die Revision zugelassen, das Urteil ist bislang noch nicht rechtskräftig. Andererseits stellt sich die Frage, ob eine Auslegung von § 2 Abs. 5, Abs. 6 VOB/B entsprechend den Feststellungen des Kammergerichts neben dem neuen Bauvertragsrecht, das seit 2018 in Kraft ist, überhaupt in Betracht kommt.
Schlünder Rechtsanwälte Partnerschaft mbB
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