Contra Verbandsstrafrecht – pro Compliance
Der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) hat am 14. November 2013 auf der Herbstkonferenz der Justizminister der Länder den Entwurf eines „Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden“ vorgestellt.
Der vorgelegte Gesetzesentwurf sieht die Schaffung eines „Verbandsstrafgesetzbuches“ vor, welches die strafrechtliche Haftung von Verbänden für Zuwiderhandlungen ihrer Mitarbeiter oder Mitglieder gegen Strafgesetze begründet. Zuwiderhandlungen sollen dann geahndet werden, wenn durch sie Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen, oder wenn durch sie der Verband bereichert worden ist oder bereichert werden sollte. Verbände im Sinne des Entwurfs sind juristische Personen, nicht rechtsfähige Vereine und rechtsfähige Personengesellschaften des privaten und öffentlichen Rechts. Ein solches Gesetz würde damit nicht nur Wirtschaftsunternehmen, sondern auch deren Interessenvertretungen unmittelbar betreffen.
Der Gesetzesentwurf knüpft an den Einfluss an, den Wirtschafts-, Umwelt- und Korruptionsdelikte, die aus Unternehmen und anderen Organisationen heraus begangen werden, auf das wirtschaftliche und soziale Gefüge haben. Nach Ansicht des nordrhein-westfälischen Justizministeriums ist die Verhängung von bloßen Bußgeldern nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz für einen internationalen Wirtschaftsstandort wie Deutschland nicht mehr zeitgemäß. Auch würden Bußgelder keine hinreichende Präventionswirkung erzielen, weil sie insbesondere für große Wirtschaftsunternehmen ein kalkulierbares Risiko darstellten. Zudem sei es unbefriedigend, wenn aufgrund einer zunehmend komplexer werdenden Unternehmensorganisation Handlungsstrukturen und Zuständigkeiten nur schwerlich bestimmbar seien.
Aus diesem Grund sieht der Gesetzesentwurf – jeweils in Verbindung mit einem bestehenden Strafgesetz – zwei „Verbandsstraftaten“ vor. So soll zum einen dann eine Sanktion gegen einen Verband verhängt werden, wenn durch einen Entscheidungsträger in Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Verbandes eine verbandsbezogene Zuwiderhandlung begangen wurde. Des Weiteren soll eine Verbandssanktion bei einer – nicht durch einen Entscheidungsträger begangenen – verbandsbezogenen Zuwiderhandlung dann verhängt werden, wenn durch einen Entscheidungsträger des Verbandes zumutbare Aufsichtsmaßnamen unterlassen worden sind, durch die die Zuwiderhandlung hätte verhindert oder wesentlich erschwert werden können.
Auf der Rechtsfolgenseite sieht der Entwurf verschiedene Verbandssanktionen vor. Neben einer Verbandsgeldstrafe bis zur Höhe eines Jahresertrages sind hier etwa auch die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung, der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge sowie die Auflösung des Verbandes benannt.
Absehen von einer solchen Verbandssanktion kann das Gericht nach dem Gesetzesentwurf allerdings dann, wenn ein Verband – auch während oder nach der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens – ausreichende organisatorische oder personelle Maßnahmen getroffen hat, um vergleichbare Verbandsstraftaten in Zukunft zu vermeiden. Die Schaffung von Compliance-Strukturen wird also ausdrücklich honoriert.
Was ist nun von diesen Vorschlägen zu halten?
Sicher ist es richtig, dass kriminelle Verhaltensweisen in und aus Unternehmen heraus sanktioniert werden müssen. Allerdings ist die Schaffung einer Verbandsstrafe hierzu bereits deshalb ungeeignet, weil sie ihrem Sinn und Zweck nach nicht die Feststellung individueller Vorwerfbarkeit (Schuld) voraussetzt. Verbände sind jedoch nicht in gleicher Weise wie natürliche Personen handlungsfähig, sondern handeln durch ihre Organe. Bei strafrechtlichen Zuwiderhandlungen sind es daher zwingend diese die – jedenfalls strafrechtlich – zur Verantwortung gezogen werden müssen.
Zusätzlich zur Bestrafung von Führungskräften bietet auch das geltende Instrumentarium des Ordnungswidrigkeitenrechts hinreichend scharfe Sanktionsmöglichkeiten. Hier ist neben der Verbandsgeldbuße – deren Höchstgrenze noch kurz vor der Bundestagswahl auf 10 Mio. € verzehnfacht wurde – insbesondere auch der Verfall, also die Abschöpfung des durch die Tat rechtswidrig erlangten wirtschaftlichen Vorteils, festgelegt. Über diesen Weg wurden auch in Deutschland bereits Sanktionen im dreistelligen Millionenbereich verhängt. Lücken im deutschen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht sind daher nicht greifbar.
Die im Entwurf vorgeschlagene Möglichkeit zur Absehung von Strafe bei Schaffung eines Compliance-Systems ist als Fingerzeig zur weiter wachsenden Bedeutung der Errichtung solcher Strukturen jedoch durchaus bemerkenswert. So wird auch in diesem Zusammenhang die massive Aufwertung, die interne Präventionsmechanismen in den vergangenen Jahren erfahren haben, verdeutlicht. Nach Großkonzernen haben mittlerweile auch mittelständische Unternehmen und Verbände ihre Vorkehrungen zur Vermeidung von Straftaten innerhalb ihrer Organisationen erheblich ausgebaut.
Dies gilt nunmehr auch für den BTGA, dessen Vorstand kürzlich dem Erfordernis, feste Strukturen zur Verhinderung von Rechtsbrüchen zu etablieren, mit der Verabschiedung einer eigenen Compliance-Richtlinie Rechnung getragen hat. Diese formuliert klare Verhaltensanforderungen, um Kartellrechtsverstöße innerhalb der BTGA-Organisation zu vermeiden.
Die Verabschiedung des vorgelegten Gesetzesentwurfes scheint indes nicht gesichert, sieht doch der am 27. November 2013 – also etwa zwei Wochen nach der Herbstkonferenz der Justizminister – unterzeichnete Koalitionsvertrag zwischen den Parteien der CDU/CSU und der SPD nur vor, „mit Blick auf strafbares Verhalten im Unternehmensbereich das Ordnungswidrigkeitenrecht auszubauen“. Die Schaffung eines Unternehmensstrafrechts soll nach den Festlegungen im Koalitionsvertrag lediglich für multinationale Konzerne geprüft werden. Die Schaffung eines „Verbandsstrafgesetzbuches“ könnte sich daher bereits erledigt haben, bevor der Gesetzesentwurf überhaupt in den Bundestag eingebracht wurde.