Der Patient aus Übersee

Im Zuge der in der jüngsten Ver­gangenheit intensiven Dis­kus­sionen, Analysen und Be­richterstattungen über die teil­weise desolate wirtschaftliche Lage in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist die ebenfalls prekäre wirtschaftliche Situation in den USA aus dem Fokus der Öffentlichkeit geraten. Die denkbaren Auswirkungen der Situation in den USA sind jedoch nach wie vor auch für Europa nicht zu vernachlässigen. Dieser Ansatz liegt auf der Hand wenn man berücksichtigt, dass Europa der größte Wirtschafts- und militärische Partner der Vereinigten Staaten ist.

Die Gesamtverschuldung des US-amerikanischen Bundesstaates beläuft sich auf mehr als 14 Billionen US-Dollar. Damit entspricht sie etwa dem jährlichen Bruttosozialprodukt des Landes. Diese enorme Staatsverschuldung hat sich über Jahrzehnte angesammelt, nachdem der amerikanische Staatshaushalt seit dem 2. Weltkrieg jährlich meist ein Defizit ausgewiesen hat. Lediglich die Regierungen Truman, Eisenhower, Johnson und Clinton erwirtschafteten zeitweilig geringe Überschüsse. Die Staatsverschuldung hat jedoch insbesondere in den vergangenen zehn Jahren stark zugenommen. Mit Blick auf eine Zukunftsprognose stellt sich diese tendenziell düster dar. Hierbei könnten zwei wesentliche Faktoren eine bedeutende Rolle spielen. Zum Einen werden sich die Zinskosten im Rahmen des Schuldendienstes in den nächsten Jahren nahezu verdoppeln. Zum Anderen ist mit einem Anstieg der Sozialausgaben aufgrund des demographischen Wandels zu rechnen.

Im letzten Jahr ist es fast zum offiziellen Staatsbankrott der größten Wirtschaftsmacht der Welt gekommen, weil die bestehenden Schulden keine neue Kreditaufnahme mehr zuließen. Es konnte jedoch nach jähen Verhandlungen und geschlossener Kompromisse zwischen Republikanern und Demokraten die akute Bedrohung in letzter Sekunde abgewendet werden. Diese Behandlung der Symptome lässt jedoch den Grundzustand unberührt. Es bleibt insoweit abzuwarten, ob die zweifelsohne auch teilweise eingeleiteten Maßnahmen zur Konsolidierung einen wesentlichen Beitrag zur Entspannung der Situation herbeiführen werden.

Durch die kurz zusammengefasste Situation drängen sich globale Risiken und Nebenwirkungen auf. Zunächst haben die langwierigen Debatten und Verhandlungen in den USA über die Erhöhung der Schuldobergrenze nicht nur innerhalb der Vereinigten Staaten Zweifel an deren politischer und wirtschaftlicher Verfassung aufkommen lassen. Weltweit wurden diese Aspekte diskutiert und tragen sicherlich zu einer Destabilisierung bei.

Sicher dürfte jedoch sein, dass die folgende notgedrungen anbrechende Ära des öffentlichen Sparens in den USA nicht an der amerikanischen Landesgrenze halt machen wird. So können die Veränderungen im Konsum- bzw. Sparverhalten der größten Wirtschaftsmacht weitreichende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben. Wenn die staatlichen Sozialleistungen zurückgeführt werden, müssen viele oft bereits hoch verschuldete amerikanische Bürger zur Eigenversorgung ihre Privatsparquote erhöhen. Sie können damit immer weniger als Reservekonsumenten auf dem Weltmarkt auftreten.

Langfristig und global betrachtet könnte in diesem Aspekt jedoch auch eine positive Nuance gesehen werden. Sie könnte helfen, internationale Ungleichgewichte im Außenhandel zu vermindern.

Auch die Kürzungen im militärischen Bereich werden sich besonders auf den wichtigsten Bündnispartner Europas auswirken. Die zum Teil bereits umgesetzten Forderungen nach weiteren Truppenabzügen aus dem sicherheitspolitisch stabilen Europa werden zunehmen und somit unmittelbar auf die betroffenen europäischen Staaten Einfluss nehmen. Häufig ist mit den militärischen Standorten auch eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung für die konkrete Region verbunden.

Für Deutschland oder andere europäische Staaten werden daher weitergehend Auswirkungen festzustellen sein. Ohne eine dynamische amerikanische Wirtschaft wachsen neue Märkte rund um den Globus nicht so schnell wie mit ihr. Der aktuelle Zustand und die künftigen Konsolidierungsbemühungen jenseits des Atlantiks geben daher nach wie vor Anlass zur Sorge und zur Vorsicht. Europa und Deutschland müssen sich möglichst gut auf die denkbaren globalen Risiken und Nebenwirkungen vorbereiten. Mit an erster Stelle muss eine auf Dauer angelegte Analyse und Betrachtung der Folgen der Budgetkürzungen in den USA stehen. Auf der Basis deren Ergebnisse müssen gegebenenfalls notwendige Mechanismen und Handlungen eingerichtet werden. Diese Aufgabe fällt in besonderem Maße der Politik und den insoweit bestehenden Ministerien zu. In dem zweiten Schritt müssen dann in Anbetracht der gezogenen Erkenntnisse und Analysen insbesondere gemeinsam mit der Wirtschaft Mechanismen entwickelt werden, die etwaig sich herauskristallisierender Nachteile und Risiken zu kompensieren und auffangen. Es darf jedoch keinesfalls zu dem Ergebnis kommen, dass die in den USA eingetretene Situation „in Vergessenheit gerät“.

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