Kommentar

Renovierungswelle oder laues Lüftchen im europäischen Gebäudesektor?

Die elementare Bedeutung des Gebäudesektors bei der Einsparung von CO2 und bei den Energiekosten hat Ende 2020 auch die Europäische Union erkannt. Damit Verbrauch und Emissionen sinken, will die EU-Kommission dafür sorgen, dass sich die Renovierungsquote bis 2030 mindestens verdoppelt. Ein hehres Ziel, wie ein Blick auf die extremen Unterschiede im Gebäudebestand in den Mitgliedstaaten zeigt. Brüssel prognostiziert, dass bis zu 35 Mio. Gebäude renoviert und „bis zu 160.000 zusätzliche grüne Arbeitsplätze im Baugewerbe geschaffen werden“. Als weiteren Anlass für die Initiative nennt die EU-Kommission die Auswirkungen der COVID-19-Krise: Durch Bewegungseinschränkungen und Home Office seien Gebäude, ihre Bedeutung für unseren Alltag und ihre Schwachstellen in den Fokus gerückt. Eine echte Chance für die Branche und für das Weltklima? Oder doch eher ein Tropfen auf den ohnehin schon heißen Stein? Das vermuten jedenfalls zahlreiche Verbände und plädieren für mindestens eine Verdreifachung der Sanierungsrate, um das notwendige Reduktionsziel von 65 % weniger CO2-Emissionen bis 2030 zu erreichen.

Werden die Instrumente ausreichen?

Die Instrumente zum Erreichen des Ziels lassen noch viele Fragen offen. So sollen strengere Auflagen für die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden gelten, um Renovierungen im öffentlichen und privaten Sektor voranzutreiben. Ebenso müsse eine leicht zugängliche und gezielte Finanzierung gewährleistet und die Kapazitäten für Renovierungsprojekte ausgebaut werden.

Es ist fraglich, ob das allein die fällige Umorientierung der europäischen Gebäudewirtschaft in Richtung Energieeffizienz bewirkt. Es wurden in den vergangenen Jahren bereits Milliarden Euro an Fördermitteln ausgeschüttet, ohne dass die Sanierungsrate auch nur annähernd in den erforderlichen Bereich gebracht werden konnte.

Praxistaugliche und wirtschaftliche Anforderungen

Es ist richtig, dass die EU-Kommission den Gebäudesektor ins Zentrum der Debatte um ein klimaneutrales Europa bis 2050 rückt. Eine höhere Sanierungsquote im Gebäudebestand wird dabei einen wichtigen Beitrag leisten.

Allerdings müssen die Anforderungen an die energetische Modernisierung von Gebäuden praxistauglich und wirtschaftlich gerechtfertigt sein. Zudem sind Klimaschutz-Maßnahmen im Gebäudebestand technologieoffen zu treffen und alle Nutzungsklassen einzubeziehen. Die im Dossier enthaltenen Initiativen müssen gemeinsam mit der Branche intensiv diskutiert werden.

Klar ist: Ohne die Mitgliedstaaten geht es nicht. Mindesteffizienzstandards sind in allen Ländern gesetzlich verankert – eine europaweite Einführung von Mindestvorgaben ist nicht zielführend, da der Gebäudebestand aufgrund der vielfältigen Gegebenheiten hinsichtlich Klima und Baukultur zu unterschiedlich ist. Standards müssen national festgelegt werden und sollten Teil der nationalen Klimaschutzbemühungen sein. Nachhaltige und möglichst ganzheitliche Konzepte für Gebäude und Quartierslösungen sind notwendig, ökologische und recycelbare Baustoffe sollten Pflicht werden. Zudem benötigen die Kommunen Unterstützung bei der Sanierung ihrer öffentlichen Gebäude mit einem einfacheren Zugang zu EU-Fördermitteln. Entbürokratisierung ist hier das Gebot der Stunde.

Positiv ist, dass die Kommission die Rolle des Mittelstands bei der Umsetzung der Strategie hervorhebt. Kleine und mittlere Unternehmen dominieren im Gebäudesektor zu über 90 %. Bereits 2021 sollen zahlreiche europäische Rechtsakte überarbeitet werden, darunter die Gebäudeeffizienzrichtlinie, die Energieeffizienzrichtlinie und die Richtlinie für Erneuerbare Energien. Hier gilt es, die besondere Betroffenheit kleinteiliger Betriebsstrukturen sowie die Belange des Mittelstands umfassend zu berücksichtigen – eine Herkulesaufgabe!

Der Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder.

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