Welches BIM brauchen wir?

Im Gespräch mit Dr. Sven Herbert

Dr. Sven Herbert, Geschäftsführer der Herbert Gruppe und Vorsitzender des Arbeitskreises BIM im BTGA e.V., stellte sich bereits im Sommer 2016 Fragen der tab-Redaktion zur Planungsmethode Building Information Modeling (BIM). Ging es vor einem Jahr um die digitalen Herausforderungen in der Branche, ist nun auch die Einführung von BIM in seinem Unternehmen Thema geworden.

tab: Herr Dr. Herbert, seit 2014 sind Sie Vorsitzender des Arbeitskreises BIM im Bundesindustrieverband Technische Gebäudeausrüstung e.V. (BTGA). Innerhalb der TGA-Branche gelten Sie als kritischer Kenner von Building Information Modeling (BIM). Regelmäßig weisen Sie auf die spezifisch deutschen Schwachstellen und Optimierungspotentiale im derzeitigen nationalen BIM-Implementierungsprozess hin. Was können wir beim Thema BIM vom Ausland lernen?


Dr. Sven Herbert: Mit der Digitalisierung erfindet sich die Baubranche derzeit neu. Und um diese digitale Transformation zu verstehen, lohnt auch ein Blick über den nationalen Tellerrand: Wie wird BIM in anderen Ländern angegangen? Kann man davon etwas übernehmen? Besitzt das Ausland überhaupt die gleiche Ausgangssituation wie wir? Das sind alles Fragen, die ich regelmäßig stelle. Dabei geht es weniger darum, vom Ausland direkt zu lernen. Das funktioniert häufig auch gar nicht, weil die Verhältnisse nicht eins zu eins übertragbar sind. Sondern mir geht es darum, durch den Vergleich die eigene Situation klarer zu sehen. 

In der Öffentlichkeit wird häufig nur von dem einen internationalen BIM-Implementierungsprozess gesprochen. Wenn man aber genauer hinsieht, dann erkennt man, dass da jedes Land vor ganz eigenen Hürden steht, obwohl das gemeinsame Fernziel natürlich die effiziente Zusammenarbeit im BIM-Modell auf internationaler Ebene ist. 

Eine spezifisch deutsche Situation ist aber z.B., dass es bei uns derzeit kein so ausgeprägtes Generalunternehmertum gibt wie im Ausland. Das hat historische und rechtliche Gründe, wie die Losvergabe bei öffentlichen Aufträgen. Jedenfalls führt dies zu einer ganz anderen Branchenlandschaft als im Ausland. Unsere ist sehr mittelständisch geprägt. Während im Ausland einer der großen Generalunternehmer die Spielregeln vorgibt, müssen in deutschen Bauprojekten diese immer wieder neu und unter vergleichsweise vielen Beteiligten ausgehandelt werden. Dazu zählt auch die Frage, welche Planungssoftware benutzt wird. Auf diese spezifisch deutsche Ausgangssituation muss man eingehen, wenn BIM erfolgreich als Planungsmethode hierzulande verankert werden soll.


tab: Nun haben Sie im eigenen Unternehmen den Startschuss für BIM gegeben. Wieso ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, um in BIM einzusteigen?


Dr. Sven Herbert: Für unser Unternehmen halte ich den Zeitpunkt für gekommen. Das kann man aber nicht unbedingt gleich auf die gesamte TGA-Branche übertragen. Unser Fall sieht so aus: Die Herbert Gruppe übernimmt immer wieder einmal auch Planungsleistungen. BIM ist die kommende Planungsmethode. Zudem sind die Standardisierungen rund um BIM technisch und organisatorisch so weit fortgeschritten, dass nicht mehr die Gefahr besteht, bei der Software auf einen falschen Trend zu setzen. 

Jetzt ist es für unsere Unternehmensgruppe wichtig, Erfahrungen mit Planungssoftware genauso wie mit Planungsmethoden zu sammeln. Zudem: Nur wer mitmacht, hat auch Einfluss auf die weitere BIM-Entwicklung in der TGA-Branche. So können wir den BIM-Prozess mitgestalten, damit in ihm auch die spezifischen Bedürfnisse und Anforderungen der Technischen Gebäudeausrüster und der Übergang von Planung zu Montage praxisnah berücksichtigt werden.


tab: Wie meinen Sie das konkret?


Dr. Sven Herbert: In der Verbandsarbeit im BTGA und natürlich speziell im Arbeitskreis BIM setze ich mich dafür ein, dass die TGA-Unternehmen darüber informiert werden, was auf sie zukommt. Die TGA-Branche hat bisher eher zurückhaltend auf BIM reagiert. BIM darf aber keinesfalls als Architektenspielzeug abgetan werden. Gerade unserer Branche bietet diese virtuelle Planungsmethode ideale Möglichkeiten, im gesamten Bauprozess deutlich mehr Einfluss auf die Planung zu nehmen. 

Die TGA ist das Baugewerk, das die Hochtechnologie ins Gebäude bringt. Und wir sind es bereits gewohnt, hierfür mit Modellen und Simulationen zu arbeiten. Mit BIM haben wir nun die Chance, unsere technologische Sichtweise auf das Gebäude noch besser in den Bauprozess einzubringen. Denn mittels BIM können unsere Fachmodelle früher eingebunden werden und haben eine größere Rückwirkung auf das Gesamtmodell.


tab: Das sind doch aber alles Änderungen, die nur die Planung betreffen. Warum sollten sich rein ausführende, kleinere TGA-Betriebe daher mit BIM befassen?


Dr. Sven Herbert: Das stimmt, wenn man BIM als Planungsmethode betrachtet. Doch ein Gebäude baut sich nicht virtuell, früher oder später kommt die Realität ins Spiel und dann hat die Montage wiederum Rückwirkungen auf das Modell. Auch TGA-Unternehmen, die nur ausführend tätig sind, sollten ein Interesse an BIM haben. Denn irgendwer muss sich in Zukunft auch mit der Schnittstelle Ausführung/Modell befassen. Da muss dann aus dem „BIM-Luftschloss“ ein reales Gebäude entstehen.

Dieses Thema wird derzeit unter dem Schlagwort BIM2Field zusammengefasst. Es meint die Phase, wenn die digitale Planung steht und es daran geht, die Soll-Werte mit den Ist-Werten des Montagezustands auf der Baustelle abzugleichen. Im Idealfall sind beide Werte identisch, weichen in der Realität doch aber immer mal wieder ab. 

Das passiert schon dann, wenn ein bestimmtes Bauteil nur mit Zeitverzögerung am Markt zu bekommen ist und durch eine funktionsgleiche Komponente ersetzt wird. So etwas muss im Modell dokumentiert werden. Im BIM-Workflow ist das ein besonders kritischer Moment, denn wenn das Modell bei etwaigen Abweichungen vom Soll nicht ordentlich die Ist-Werte erhält, ist das ganze aufwendig erstellte digitale Konstrukt für die weitere Nutzung von minderer Qualität. 

Sehr häufig ist die Planungsphase auch nur vorläufig abgeschlossen, wenn es an die Montage geht. Die Realität sieht einfach anders aus, als man anhand eines Modells glauben möchte. Umplanungen – auch noch während der Montage – werden sich auch mittels digitalem Modell niemals ganz vermeiden lassen. Jeder einigermaßen erfahrene Bauherr weiß das. Die Realität hält manchmal Überraschungen bereit, die vorher einfach nicht berücksichtigt werden konnten, egal wie ordentlich geplant wurde. Allein aus diesem Grund müssen auch ausführende Unternehmen mit BIM arbeiten. 

Eine saubere Dokumentation der Ausführung im virtuellen Modell ist immens wichtig, wenn BIM sich zukünftig auch auf den Lebenszyklus des Gebäudes und das Facility Management erstrecken soll. Allerdings liegt es noch in ziemlich weiter Ferne, BIM über den Fertigstellungstermin des Bauwerks hinaus zu nutzen.

Dennoch sollte sich die TGA proaktiv mit dem Gestaltungsprozess der zukünftigen BIM-Nutzung befassen, weil unser Gewerk so zentral im Bauprozess angesiedelt ist. Ebenso sollten wir ein großes Interesse daran haben, uns mit Planern und Komponentenherstellern auszutauschen, denn auch dort wird BIM als Chance gesehen, den eigenen Einfluss zu vergrößern.


tab: Heißt das, die virtuelle Planungsmethode mischt die Karten neu, ähnlich wie die Digitalisierung in anderen Branchen angestammte Strukturen grundsätzlich neu ordnet, man denke an den Einzelhandel oder das Bankenwesen?


Dr. Sven Herbert: Naja, so gravierend wird der digitale Wandel im Baugewerbe sicher nicht sein. Aber natürlich versuchen alle beteiligten Branchen, den Veränderungsprozess in einen Gewinn für sich umzusetzen. Das ist unternehmerisch nachvollziehbar und nicht erstaunlich.

So versuchen beispielsweise die Komponentenhersteller virtuell Fakten zu schaffen, indem sie Dateien von ihren Bauteilen für BIM zum kostenlosen Download anbieten. Das ist selbstverständlich Marketing, aber natürlich auch ein nützlicher Service. Die Kaufentscheidung soll digital vorverlegt werden.

Wir als TGA-Branche müssen aber aufpassen, dass ein optimierter Gesamtprozess für alle entsteht und nicht optimierte Lösungen für einzelne Teilnehmer. Mir selbst als Unternehmer ist es sehr wichtig, dass wir herstellerunabhängig die beste Lösung für unsere Kunden anbieten können. Hierfür muss der Hersteller-Content, das Datei­Format, maximal kompatibel sein.


tab: Ein großer Teil der Diskussion um BIM dreht sich ja um Dateiformate und deren Kompatibilität. Welche Ansprüche hat die TGA da?


Dr. Sven Herbert: Die Datensätze der einzelnen Komponentenhersteller sind oft gar nicht auf unsere Bedürfnisse abgestimmt. Das einzelne Objekt ist viel zu detailliert mit sehr vielen Merkmalen versehen, was die Datei unnötig aufbläht. Das kommt daher, dass es für die Hersteller am einfachsten ist, wenn sie ihre Daten direkt aus der eigenen Maschinenbau-CAE-Software bereitstellen, was aber nicht besonders zielgruppenoptimiert ist. 

Objektmerkmale bzw. -attribute sind beispielsweise bei einem Fenster, neben seinem reinen Aussehen, wozu die Bemaßung, Farbe und Material gehören, auch funktionale Merkmale wie z.B. die Isolationsfähigkeit oder mit welchen Baustoffen es verbaut werden kann und mit welchen nicht. All diese Attribute sind mit dem Objekt direkt verknüpft. Im schlimmsten Fall gehen aber solche Objektmerkmale, also Daten über die Eigenschaften des jeweiligen Objekts, verloren oder werden anders klassifiziert, wenn man die Objekte von einem Programm in ein anderes transferiert. Hier ist es ganz wichtig, dass sich zügig einheitliche Standards für die Normierung der digitalen Objekte und für die Klassifizierungen von ihren Objektmerkmalen herausbilden.

Da ein TGA-Planer mit einem grundsätzlich anderen Modell arbeitet als z.B. der Architekt oder der Tragwerksplaner, sind wir auf ein offenes BIM angewiesen. IFC hat sich mittlerweile als Standard­austauschformat für die BIM-Datei herausgebildet. 

Was wir jetzt noch brauchen, sind Standards bei den Objekten und deren Merkmalsklassifizierungen selbst. Einen vielversprechenden Ansatz hierfür gibt es mit der österreichischen Initiative freeBIM. Bei freeBIM sollen die Merkmale der einzelnen Objekte von einem zentralen Datenserver aus zur Verfügung gestellt werden. 

Damit löst man gleich zwei Probleme auf einmal: Erstens arbeitet jeder nur mit den Merkmalen, die er braucht, und die Gesamtdatei bleibt dementsprechend klein. Und zweitens sind die Merkmale zentral hinterlegt, jeder greift also auf dieselbe Version zurück und bei Dateikonvertierungen von einem Programm zum anderen kommt es nicht zu Merkmalsverschiebungen oder Neuklassifizierungen. 


tab: Was bringt die Digitalisierung mit BIM am Ende dem Bauherrn?


Dr. Sven Herbert: Oh, eine ganze Menge! Ich würde sagen, der Bauherr ist sogar der eigentliche Gewinner der Digitalisierung. Das ist ja auch der Grund, warum der Staat die Einführung von BIM so konsequent vorantreibt. Denn er ist der größte Bauherr und hat natürlich ein dementsprechendes Interesse an Kosten- und Planungssicherheit. 

Allerdings muss ehrlicherweise auch gesagt werden: Mit BIM kann man eine neue Qualität und Planungssicherheit bekommen. Wenn man es gut macht. Wenn man es jedoch schlecht macht, wird der Bauprozess digital verschlimmert und verteuert. Es ist daher immens wichtig für einen Bauherrn, sich den richtigen Partner zu suchen. Gerade in der Übergangsphase auf dem Weg zu BIM, in der wir uns gerade befinden.

Neben den Kosten­ und Planungsfaktoren gibt es aber auch noch kommunikative Vorteile mit BIM: Für Bauherren ist es viel intuitiver, sich am 3D-Modell einen Planungs- und Bauablauf vorzustellen als anhand eines 2D-Plans. Gemeinsam ein 3D-Modell zu betrachten oder sogar mittels einer VR-Brille virtuell zu betreten, erleichtert dem Bauherrn immens, seinen Bedarf klar zu formulieren und seine Mitwirkungspflicht selbstbewusst zu erfüllen. Ich freue mich darauf, mit unseren Kunden bei einem virtuellen Spaziergang gemeinsam die geplanten Anlagen zu inspizieren!


tab: Herr Dr. Herbert, vielen Dank für das Interview.

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